Weltende

A.Schönberg: op.16,18,40, Kaiserwalzer                                Ars Musici 1344-2

Text: Peter Hirsch

                      Weltende
                      Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
                      In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
                      Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
                      Und an den Küsten, liest man, steigt die Flut.

                      Der Sturm ist da; die wilden Meere hupfen
                      An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
                      Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
                      Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
                      (J.van Hoddis)

Arnold Schönberg
5 Orchesterstücke op.16
Musik am Vorabend des ersten Weltkriegs. Nr.1: „Vorgefühle“; aber worauf? Das Stück ist wie auf der Suche nach einer Sprache, die in mehreren, stockenden, auch: gleichsam resignierenden Anläufen erst zu sich finden muß. Was sie dann schließlich eruptionsartig aus sich herauswirft, hat nichts Freudiges an sich; Vorgefühle als Vorahnungen; alarmierend, katastrophisch, lapidar. Wie schreibt man so etwas 1909? Und was ist damit ‚gemeint‘? Es ist die Fortsetzung des Mahlerschen Erbes zu einer Zeit, als dieser noch lebte, und zugleich eine Vision des 20.Jahrhunderts weit über 1914-18 hinaus. „Peripetie“: Die gezackten Linien eines neu aufgeladenen Chromatismus erweisen den Umschwung als Umschlag in die Katastrophe. Es ist fast schon eine Musik ‚danach‘ und zugleich so ‚mittendrin‘, daß sie bis heute, bald 100 Jahre später, noch schockiert; seltenes Zeugnis einer permanenten Avantgarde. Zwischen der Komprimiertheit dieser Stücke wird das „Vergangene“ in Länge und Gestus einem Adagio Mahlers vergleichbar. Jedoch: auch aus den irrisierenden Klängen dieser Insel der Erinnerung leuchtet immer wieder etwas Bedrohliches hervor. Das abschließende „Obligate Rezitativ“ kann da nur ein Walzer sein!

Die Glückliche Hand
Der Inhalt dieses von Schönberg selbst verfaßten, „der Hauptsache nach symbolischen“ Künstlerdramas:
Der „Mann“ liegt am Boden. Ein katzenartiges Fabeltier sitzt ihm im Nacken. Ein Chor, von deren Gesichtern man fast nur die Augen sieht,  ermahnt ihn: „Still, o schweige;...Kannst Du nicht endlich Ruhe finden?...Du weißt, es ist immer wieder das Gleiche...Mußt du dich immer wieder hineinstürzen?...Glaub der Wirklichkeit;...Immer wieder glaubst du dem Traum...hängst du deine Sehnsucht ans Unerfüllbare...Du, der das Überirdische in dir hast, sehnst dich nach dem Irdischen!...Du Armer!“- Der Mann wirbt um die Liebe eines „jugendlichen, schönen Weibes“: „O Du! Du Gute!...Wie schön Du bist! Ich bin so glücklich, weil du bei mir bist! Ich lebe wieder!“ Er bemerkt nicht, daß sie im Bann eines „vornehmen Herrn“ steht. Nachdem seine Hand die ihre berührt hat, fühlt er wieder Kraft und Inspiration in sich wachsen und starrt, ohne auf ihr Verschwinden zu achten, auf seine Hand: „Nun besitze ich dich für immer!“ - In einer Grotte schmiedet er ein kostbares Diadem, indem er einen schweren Hammer mit solcher Wucht auf einen klumpen Gold niederschlägt, daß der Amboß darunter zerbirst: „So schafft man Schmuck!“ Anschließend verfärbt sich die Bühne in einem „Crescendo des Lichts und des Sturms“ über ein schmutziges Grün und ein Violtt, das wiederum ein intensives Dunkelrot abspaltet, schließlich bis zu einem schreienden Gelb. (Jede dieser Entwicklungen ist taktgenau in der Partitur verzeichnet; die Musik evoziert die Vorgänge auf der Bühne ebenso wie sie sie kommentiert. „Mit den Mitteln der Bühne musizieren“ nannte das Schönberg) - Noch einmal versucht der Mann, die Liebe des Weibes zu gewinnen: „Du Schöne--bleib bei mir!“, wird aber von ihr zurückgestoßen und sinkt unter höhnischem Lachen an derselben Stelle zu Boden wie am Beginn. Wieder der Chor, nun anklagend streng: „Mußtest du‘s wieder erleben, was du so oft erlebt?...Kannst du nicht verzichten?...Suchst zu packen, was dir nur entschlüpfen kann, wenn du‘s hälst...Und suchst dennoch! Und quälst dich! Und bist ruhelos! Du Armer!“
In einer Rede über sein Stück schreibt Schönberg 1928: „Glückliche Hand, die nicht hält, was sie verspricht!“ Was verspricht die so glühend glückliche Hand eigentlich? Oder eher: Was hält sie - in ihrer Hand, wenn nicht die Kunst, die sie zu sein verspricht, also sich selbst? Jenseits des symbolistischen Künstlerpsychogramms ist dies vor allem eine mit offenem, stieren Blick weitschauende Partitur. Im Licht-Crescendo, das ja nichts anderes als „Schmuck“ im Sinne von Kunstwerk ist, und also hier: die Komposition eines Orchesterstücks von ca. 2 Minuten, strebt die Musik einer Vision zu, die in ihrem Gleißen (des Klanges sowohl als des Lichts) nur noch Zerstörung verheißt.
Wie nirgends sonst setzt Schönberg hier seinen immer wieder neu untersuchten „Sprechgesang“ einer bis zu 3-stimmigen Akkordik und Kontrapunktik aus. Die seit Jahrzehnten offene Frage nach dem Klang dieser Sprechweise, die in der 1.Szene der „Glücklichen Hand“ auch ein Flüstern ist, findet in dieser Aufnahme eine zumindest radikale Antwort: gesprochen ist gesprochen und geflüstert ist geflüstert! Wir haben es also mit gesprochenen und geflüsterten Akkorden zu tun, deren durchaus unterscheidbare Tonhöhen bewußt deutlich hinter die Klangcharakteristik des Sprechens zurücktreten. Nicht nur wird dadurch eine neue Qualität der Transparenz sondern nebenbei auch der Glaubwürdigkeit erzielt.

Variationen über ein Rezitativ für Orgel, op.40
Die musikalische Nähe zur „Ode an Napoleon“ rückt die Variationen in den Zusammenhang jener Stücke aus der amerikanischen Zeit, die ein Sich-Vergewissern von Tradition, der selbstbegründeten wie der musikgeschichtlichen, mit dem Protest gegen den Faschismus verbinden. Der dunkel-lastende Tonfall des Rezitativs gehört ebenso zur Situation des alten Schönberg im Exil wie die fast zwanghaft appellative Emphase am Ende der Fuge. Unter den Komponisten der Wiener Schule fiel es ihm, dem ältesten zu, die Widersprüche zwischen Aufbruch und Tradition gleichsam am eigenen Leibe austragen zu müssen. Das Ende eines Zeitalters, der K.u.K. Monarchie, das durch den Ersten Weltkrieg markiert wurde und das in op.16 wie vorausgeahnt erscheint, sieht er nun, fast 30 Jahre später, vom Kontinent der Neuen Welt aus sich zum Untergang der alten Welt ausweiten.

Kaiserwalzer
Im Jahr 1921 hatte Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“, der sich sonst um Aufführungen Neuer Musik kümmerte, einen „außerordentlichen Abend“ mit Bearbeitungen von Johann-Strauß-Walzern veranstaltet. Vom Erfolg dieses Abends angeregt ließ Schönberg 4 Jahre später die Transkription des Kaiserwalzers folgen. Diese kunstvolle Bearbeitung macht aus dem Kaiserwalzer Kammermusik und Symphonische Dichtung in einem. Bereits in der Introduktion tobt sich Schönberg geradezu lustvoll in allen möglichen Nebentönen und -klängen aus, vom Klaviercluster, der kleine Trommel spielen muß, bis zum Kaiserhymnenzitat, jener Melodie, die damals noch auf den Text „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ hörte, und die Schönberg in sein eigenes, kontrapunktisches Netz von kleinen Gesten und Motiven in und um Straußens Musik herum hineinerfunden hat. Am Ende des Stücks, in der Coda, verklärt die verkürzte Wiederkehr dieses Zitats den Walzer in Schönbergs Fassung zum Abgesang auf eine Epoche.

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