B.A.Zimmermann: „Soldaten“-Vokalsinfonie
Paris 2014, Orchestre Philharmonique de Radio France
Text: Peter Hirsch
Immer wieder findet sich in B.A.Zimmermanns Werktiteln und Werkkommentaren der Begriff des „Imaginären“ oder „Utopischen“: „Musik zu einem imaginären Ballett“, „imaginäre Einheit‘, „Utopie der Verbindung bisher für getrennt gehaltener Zeitabläufe“ etc. Im Zusammenhang mit seinem Violoncellokonzert „en forme de pas de trois“ schreibt er von der scheinbar unmöglichen Verbindung des Unverbindbaren, die jedoch auf ein „Drittes“ heraus will. Dieses „Dritte“ ist eine Art imaginäres Theater, auf dessen virtueller Bühne „musikalische Wirklichkeit“ verhandelt wird. „Die Musik ist dabei gewissermaßen der geometrische Ort, auf den sich alles bezieht, und aus dem heraus sich alles entwickelt“. Die Musik als der utopische Ort schlechthin; als imaginärer Fluchtpunkt aller Bemühungen, die Welt in ihrer Fremdheit, Absurdität und Katastrophenhaftigkeit zu bewältigen; als imaginäre Bühne der Verschmelzung von Philosophie und Klang. Dies weist auf etwas hin, das gerade im Theater, gerade in den „Soldaten“ gleichsam nicht mehr theatralisierbar ist: etwas das auf einer Bühne spielt, die sich jenseits selbst eines mit so vielfältigen Mitteln operierenden Theaters befindet, wie es die „Soldaten“ intendieren. Daß sich dieses Fenster zum Unbekannten, Imaginären auch und gerade in Zusammenhang mit der Zimmermannschen Vision eines umfassenden Theaters eröffnet, ist kein Widerspruch. Die multiplen szenischen Ausdrucksformen, die Zimmermann für die „Soldaten“-Bühne erfand und denen seinerzeit ein hohes utopisches Potential innewohnte, führen im Zuge der verstärkten technischen Realisierbarkeit inzwischen oftmals eher zu Redundanz und damit zur Sprengung ebendieser Bühne als Kulminations- und Projektionsort seiner künstlerischen Ambition. Und so wird die Vokalsinfonie, die ursprünglich nur dazu diente, Beweis für die Aufführbarkeit der „Soldaten“ zu sein, zu weit mehr als das; zu mehr als einer ,Suite‘ aus der Oper, mehr als Surrogat für den Konzertsaal. Die beiden großen symphonischen Stücke, das gewaltige Preludio und das Intermezzo des II.Akts, welche erst für die Aufführung der Vokalsinfonie geschrieben und dann unverändert in die Oper übernommen wurden, unterstreichen es eindrucksvoll: Es ist die Musik selbst, die das Theater imaginiert, den Raum öffnet und den Fluchtpunkt aller künstlerischen und gedanklichen Projektionen des Komponisten markiert. Das (Welt-)Theater findet, durch die Klänge, im Hinterkopf statt. Klänge von einer ungeheuren Komplexität und Ausdruckskraft. Dafür steht als reinster und ursprünglicher Ausdruck die Vokalsinfonie.