Philharmonisches Staatsorchester: Musik zum Hinhören im 4. Sinfoniekonzert
23.01.2016
Der neue Merker, 23.01.2016
Mainz - Musik zum „Hinhören“ – das ist der gemeinsame Nenner dieses Mainzer Konzertprogramms mit selten gespielten, aber äußerst hörenswerten Werken, deren Ausdruckspotential erst durch sorgfältige Durchdringung der musikalischen Strukturen entsteht. Da gilt es, auch leise Töne, Unter- und Zwischentöne wahrzunehmen.
Wieder einmal sorgt Gastdirigent Peter Hirsch am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz für eine äußerst sorgfältige und sensible Einstudierung, die beim Hörer den Eindruck hinterlässt, jeder Ton sitze nicht nur an der richtigen Stelle, sondern sei auch innerhalb des musikalischen Gewebes fein austariert. (...)„Sarabande und Cortège op. 51 – Zwei Studien zu Doktor Faust“ ist eine fein schattierte Studie Busonis aus dem Jahr 1918 über die zur Grübelei neigende Titelfigur seiner gleichnamiger Oper. In diesen beiden (für die Oper zentralen) Instrumentalstücke spiegelt sich auch die facettenreiche Situation und Persönlichkeit des Komponisten: Einerseits erfolgreicher Klaviervirtuose, andererseits feinsinniger Intellektueller, als Deutsch-Italiener immer wieder zwischen den Fronten des aufgeheizten Nationalismus, als Weltbürger und Ästhetiker aber zugleich ein Visionär. Es ist dann frappierend, wie gut sich hier Alexander Zemlinskys „Sinfonietta“ op. 23 von 1934 anfügt: Etwas populärer, phasenweise fasslicher im Tonfall, nah an Paul Hindemiths und Kurt Weills sinfonischen Werken dieser Zeit – aber doch innerlich vielstimmig, und von Orchester und Dirigent gerade in dieser Komplexität sensibel ausgehorcht. Ganz am Anfang erklingt mit Alban Bergs Sonate für Klavier op. 1 von 1909/10 ein weiteres Werk des Übergangs von der Spätromantik in die musikalische Moderne. Es ist beeindruckend, wie der brodelnde Klaviersatz des Originals in der Orchesterfassung des niederländischen Komponisten Theo Verbey (Jg. 1959) von 1984 an Farbigkeit und Fasslichkeit gewinnt; die Plastizität der Klanggesten trägt über alle klanglichen Ballungen hinweg.
Robert Schumanns Violinkonzert in d-moll von 1853 leidet, obwohl es in den letzten Jahren häufiger gespielt wird, immer noch unter seiner unglücklichen (Nicht-)Rezeptionsgeschichte. Erst wurde das letzte Orchesterwerk des Komponisten vor seinem psychischen Zusammenbruch von Clara Schumann und Joseph Joachim zurückgehalten, dann propagierten es die Nationalsozialisten als „deutsche“ Alternative zu Mendelssohns e-moll-Konzert. (...) Bis heute bleibt das Verstehen – jenseits der Vorurteile – eine besondere Herausforderung für die Interpreten. (...) Peter Hirsch, das Philharmonische Staatsorchester und die Geigerin Carolin Widmann beweisen auch hier das hohe interpretatorische Niveau des Abends. Plastisch sind die klaren Konturen des Beginns, in die demonstrativ Pauken und Trompeten hineintönen, während vor allem in den Streichern vibrierende Nervosität hörbar wird. Der Einsatz der Geige wirkt hier wie der Versuch, dieser krisenhaften Stimmung einen Sinn abzuringen, Ordnung und kompositorische Disziplin hineinzubringen. (...) Carolin Widmann zeigt: Auch im Konzert ist der Violinpart virtuos, aber nicht glanzvoll, sondern konzentriert – und oft in tiefer Lage, die vom Orchester nie zugedeckt wird. Nachdrücklich arbeitet Hirsch im langsamen Satz die Synkopen des Eingangsthemas heraus: Eine Musik, die spürbar und absichtlich aus dem Gleichgewicht geraten ist und erst mit dem Einsatz der Geige an Boden gewinnt. Der Schluss-Satz erklingt in dem von Schumann vorgeschriebenen gemessenen Tempo als elegante, bisweilen feierliche Polonaise. Stärker als in den beiden Sätzen zuvor finden sich hier Solostimme und Orchester im Dialog zusammen. (...) Damit wird der Spannungsbogen der Komposition deutlich hörbar: Das Ringen um Fassung hat Erfolg, der letzte Satz „zeigt Haltung“.
Von Andreas Hauff